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Franz Kafka und die Fremden

Die düster-visionäre Kraft der Prosa Kafkas, mit der ihm neben aller literarischen Wirkung eine Prophetie für das dramatische zwanzigste Jahrhundert gelang, mag bis ins einundzwanzigste reichen.

Man lese etwa in diesen Tagen seine kurze, 1920 im Band „Der Landarzt“ erschienene Parabel „Ein altes Blatt“, denn man wird eine Geschichte mythischen Anklangs wiederentdecken, die wie kaum ein anderes Stück Literatur zu unseren derzeitigen Sorgen paßt, gewissermaßen ein Gleichnis, nach dem wir suchen, solange wir weder eine Lösung für das Problem selbst finden noch überhaupt einen Ort, uns zu positionieren.

Selbstverständlich: Man hüte sich vor simplen und verkürzenden Übertragungen. Nur erscheinen manche Passagen der Parabel plötzlich so treffend, ja berückend eindringlich, daß dieser beinahe vergessene Stoff Bedeutung gewinnt, indem auf ihn gewissermaßen das Tageslicht der Aktualität fällt.

In einem für die Sujets Kafkas so typisch zeitlosen und quasimittelalterlichen Ambiente spielt sich etwa das ab, was wir gerade erleben. Fremde sind angekommen, Nomaden, in großer Zahl. Was ihnen an Kultur fehlt, kompensieren sie mit kraftvoller Präsenz: „Was sie brauchen, das nehmen sie sich. Man kann nicht sagen, daß sie Gewalt anwenden. Vor ihrem Zugriff tritt man beiseite und überläßt ihnen alles.“

Die Invasion erfolgte gänzlich unerwartet, es gab keinen Kampf, nicht mal empfundene Bedrohung, und daher wiegte man sich ohne Abwehrmaßnahmen in allzu vertraut gewordener Sicherheit. Aber diese Geborgenheit erwies sich als trügerisch. Die Eindringlinge sind plötzlich da, raumgreifend zahlreich; und die angestammten Bewohner haben ihnen rein gar nichts entgegenzusetzen. Schreckensstarr schauen sie perplex zu, sie warten, aber sie wissen bereits mit intuitiver Sicherheit: Jetzt wird sich alles verändern. Zum früheren Leben gibt es kein Zurück mehr. Das allzu alltäglich Vertraute ist unwiederbringlich dahin, das einst Eigene zerstört.

Die Parabel beginnt mit Sätzen, die zur Einschätzung unserer Gegenwart passen: „Es ist, als wäre viel vernachlässigt worden in der Verteidigung unseres Vaterlandes. Wir haben uns bisher nicht darum gekümmert und sind unserer Arbeit nachgegangen; die Ereignisse der letzten Zeit machen uns aber Sorgen.“ – Das Vaterland, denkt man als Leser bei sich: Tatsächlich, lange nichts davon gehört.

Der Ich-Erzähler, ein Schuster, dessen Werkstatt am Platz des kaiserlichen Palastes liegt, berichtet in still hilfloser und sich dem Schicksal ergebender Angst, wie die Fremden seine Stadt übernahmen, ohne daß sich ihnen jemand entgegenstellte. Die Menschen sind gelähmt. Sie hoffen nur noch darauf, das Unheil möge an ihnen und ihrem Haus vorbeiziehen und das grausige Geschick eher dem Nachbarn widerfahren. Lieber den Kopf einziehen, unauffällig bleiben, sich verbergen, bloß nicht Aufmerksamkeit erregen, so wie es in der Chronik des Schusters dann nebenan dem Fleischhauer geschah – mit grausamer Folge.

Die alte tradierte Kultur, durch ihr bislang allzu gewohntes Gleichmaß des Normalen wie sediert, spürt plötzlich, daß sie ideen- und kraftlos den Ansturm und die Okkupation erdulden muß und allenfalls noch eine Art Appeasement betreiben kann. Insbesondere erweist sich die Herrschaft hinter großer Symbolik und hohlem Gepränge als gänzlich machtlos: „Der kaiserliche Palast hat die Nomaden angelockt, versteht es aber nicht, sie wieder zu vertreiben. Das Tor bleibt verschlossen; die Wache, früher immer festlich ein- und ausmarschierend, hält sich hinter vergitterten Fenstern.“

Was bleibt? Eigentlich müßten die Bürger sich verteidigen oder mindestens ihre Identität sichern. Aber so stolz sie einst gewesen sein mögen, so paralysiert erleben sie sich jetzt: „Uns Handwerkern und Geschäftsleuten ist die Rettung des Vaterlandes anvertraut; wir sind aber einer solchen Aufgabe nicht gewachsen; haben uns doch auch nie gerühmt, dessen fähig zu sein. Ein Mißverständnis ist es; und wir gehen daran zugrunde.“

Ja, man denke rechtzeitig über existentielle Mißverständnisse nach. Allzu schnell ist es zu spät.

Nein, es ist nicht der Fremde, der per se den Einheimischen gefährdet. Es ist vielmehr das offenbare Unvermögen einer alten Kultur, sich mit Blick auf ihr großes Erbe und die darin liegenden Verpflichtung aufs neue vitalisieren zu können, um solcherart die eigene Geschichte, Sprache, Kultur weiter zu leben. Selbstverständlich sind hierzulande gerade viele der eintreffenden Syrer keine „Nomaden“, sondern kultivierte Menschen, deren Flucht plausibel ist. Ihre Bereitschaft, Deutsch zu lernen, ist nicht selten viel engagierter als jene deutscher Schüler. Und genau darin zeigt sich das Problem.

Franz Kafka Verteidigung des Eigenen

Über Heino Bosselmann

Heino Bosselmann
Jahrgang 1964, aufgewachsen in der Prignitz, Abitur 1982 in Perleberg, 1982-1985 Wehrdienst, 1985-1990 Studium an der Universität Leipzig, danach Lehrer, freier Autor, Publizist, literarische und journalistische Veröffentlichungen. Heino Bosselmann lebt in Vorpommern.

Ein Kommentar

  1. Erschreckende Ähnlichkeit mit der Gegenwart. Als einfacher Arbeiter Jahrgang 1963 habe ich mit Literatur nicht viel am Hut. Ich verlasse mich da eher auf meine Erfahrungen die ich gemacht habe mit dem DDR-Staat und meiner 25jährigen Mitgliedschaft in der BRD.

    Mir tun die Kinder und Jugendlichen und jungen Erwachsenen leid, welche durch das herrschende System von Geburt an erzogen und gesteuert werden. Eltern werden primär mit der wirtschaftlichen Existenzsicherung der Familie beschäftigt, so das Sie bei der (politischen) Erziehung Ihrer eigenen Kinder nur eine Nebenrolle spielen. Genau so war es in der damaligen DDR.
    Nur hatten wir keine frühkindliche Sexualerziehung, sondern lernten wir das Lied „Kleine weiße Friedenstaube“. In der Schule lernten wir dann „das von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen darf“, das die Nationale Volksarmee nur zur Verteidigung der Republik gegen Angriffe von außen (dem Westen) da sei. Auch hat man uns damals die Demokratie gelehrt. Da die SED zu hoch stilisiert wurde, haben wir nicht an diese Demokratie geglaubt. Heute wo der „Kuchen“ für die Machthungrigen Selbstdarsteller viel größer ist können sich mehrere Parteien diesen Kuchen teilen, für das vermeindliche Wahlvolk sieht es wie Demokratie aus.
    Aber schon Johann Wolfgang von Goethe (*1749 – †1832) schrieb:
    „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf“.
    Aus den Erfahrungen aus ihrer ostdeutschen Geschichte heraus, sind vorwiegend die Ostdeutschen, voran die Sachsen, auf die Straße gegangen und haben gegen die massenweise illegale Einwanderung von vorwiegend islamischen Wirtschaftsmigranten aus dem nahen Osten protestiert.
    Erfahrungen mit einer diktatorischen Demokratie, welche westdeutsche Altersgenossen so nie machen konnten, da bei ihnen andere, vorwiegend wirtschaftliche Werte zählten wie z.B. viel Geld verdienen, konsumieren, Freizeitvergnügen, Urlaub, Statusgehabe u.ä. .

    In Ihrer Schlaftrunkenheit und um ihre moralischen Defizite, welche aus einer zum Teil dekadenten Lebensweise resultieren, ausgleichen zu wollen ergreifen viele von ihnen die Initiative und empfangen diese. zum großen Teil islamischen kulturfremden, Okkupanten mit Teddybären, Luftballons und Tränen in den Augen.
    Die Andersdenkenden (vorwiegend Ostdeutsche) werden als Rassisten, Fremdenhasser, Hetzer, Nazis u.ä. verunglimpft und als Pack, bildungsfernes Prekariat u.ä. beschimpft.
    Inzwischen kann auch kein Mensch mehr leugnen, das die Okkupanten damit begonnen haben, sich zu nehmen was sie haben wollen. Menschen die sich ihnen dabei in den Weg stellen werden attackiert, verletzt und getötet.
    Am Ende der Geschichte wird es keine großen Unterschiede zu Kafkas Beschreibungen geben.
    Ich frage mich nur, steht „Kafka“ auf den Lehrplänen unserer Schulen und Universitäten, oder geht es das nur noch um „Romeo und Julius“? Weiß das jemand? Wenn nein, muss dann nicht schleunigst das Bildungssystem reformiert werden?

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