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Linke Scham

Der Gemeinplatz sagt, die Geschichte wiederholt sich; zuerst kommt sie als Tragödie daher, dann als Komödie. Jetzt, wo uns die Tragödie ins Haus steht, kann es nicht schaden, sich an die Komödien und Spielchen zu erinnern, die früher abgelaufen sind. Das gilt auch für die Dinge, die im Moment die Öffentlichkeit aufregen und gern als „Ereignisse von Köln“ schamhaft umschrieben werden.

Die meisten Leser werden sich an die Mitte der 90er-Jahre nicht erinnern können, sie vielleicht gar nicht bewusst erlebt haben. Es war damals eine andere Zeit; die Zwillingstürme waren noch nicht gefallen und zehntausende zerstörte und verängstigte Menschen strömten aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Österreich. Darunter waren viele so genannte Moslems, und es war nichts zu hören von massenhaften Übergriffen. So mancher war verstört und lebte das auch in seiner Liebesbeziehung aus, aber das ging niemanden etwas an.

Ich war damals ein Linker. Deutschland galt als Scheiße, Österreich als Dreckstaat und ich saß in Berliner Redaktionsstuben und Studentencafés herum. Leute, die heute das große völkische Wort führen, stritten sich damals um die schärfste und verletzendste Formulierung und veranstalteten Wettbewerbe, wer den volksfeindlichsten Artikel in einer jüdischen Wochenzeitung unterbringt. „Volksfeind“ zu sein, das galt damals etwas in dem Milieu in dem ich mich herumtrieb. Wer „den Österreicher“ oder gar (Gott bewahre!) „den Deutschen“ als Mängelrasse beschimpfte, hatte die Schulterklopfer der Schickeria auf seiner Seite.

In meiner Nähe hielten sich junge Frauen auf, nur ein wenig älter als ich, aber schon auf dem richtigen Weg zur linksradikalen Karriere in den oberen Zehntausend. Eine dieser Damen, die von sich sagte, sie rühre grundsätzlich keine deutschen Männer an, weil diese „Scheiße“ seien, war im Umfeld der so genannten Stiftung für Wissenschaft und Politik tätig, also dort, wo es nach Geld und Geheimdiensten stinkt und die Verkommenheit galaktische Ausmaße erreicht. Ich verstand mich gut mit ihr; wir lachten oft zusammen.

Ich wusste, dass die junge Frau mit einem Algerier, ihrem frisch angetrauten Ehemann, zusammengezogen war. Der Kerl machte einen „gebildeten und kultivierten“ Eindruck. Irgend etwas hatte er an sich, das ihn für die Leute bei besagter Stiftung interessant, ja unentbehrlich machte. Er schien die Regierung zu beraten; ein Gedanke, der mich schmunzeln ließ. Seine neue linksradikale Gattin stammte aus gutem Haus, wie man so sagt, und sie hatte sich mit der „orientalischen“ Dekoration der ersten gemeinsamen Wohnung große Mühe gegeben. All das, das Exotische, die linksradikale Gesinnung, der Feminismus und der Deutschenhass, die Begeisterung für den so genannten Orient und die Tätigkeit für eine bürgerliche Regierung standen im Leben dieser Frau scheinbar widerspruchslos im Raum. Man kann es sich heute kaum noch vorstellen, aber so war das damals in diesem Milieu.

Eines Tages stieß mir diese Dame den Ellenbogen in die Rippen und flüsterte mir zu, sie müsse mir etwas sagen. Ich hielt das für einen Scherz und forderte sie auf, doch rauszurücken mit dem Geheimnis. „Zuhause darf ich nicht mehr sprechen“, kam es aus ihrem Mund. Ich nahm das natürlich nicht ernst und gab zurück: „Du musst es nur üben, alt genug bist du ja!“. Damit war das erledigt.

Eines Tages brachte meine Kollegin ein Veilchen mit zur Arbeit. Das Veilchen stand am rechten Auge und ich vermutete, man habe ihr einen Zahn gezogen, so etwas verursacht ja manchmal blaue Flecken im Gesicht. Niemand sprach sie darauf an, alle taten so, als ob das Veilchen nicht vorhanden wäre. Deutschland war an diesem Vormittag wieder einmal besonders Scheiße und ein späterer Rechtspopulist überschlug sich in grausamen Formulierungen; abgesehen von dem Veilchen konnte auch meine Kollegin vor antideutscher Überzeugung kaum gehen. „Ich kann nicht mehr und ich habe Angst“, flüsterte sie mir zwischendurch ins Ohr.

Wenig später stand ein Lieferwagen der Firma Robben und Wientjes vor der Tür. Mir schwante etwas; ein Kollege, äußerlich ein Mann wie ein Schrank, holte mich dazu und wir fuhren nach Neukölln. Ob Buschkowsky damals schon Bürgermeister war, weiß ich nicht mehr. Der kräftige Kollege zischte mir ins Ohr: „Sie braucht ihre Sachen, aber halt den Mund!“ Ohne als Ritter und Retter edler Frauen geeignet zu sein, war ich Teil eines kleinen Rollkommandos geworden, das den Auszug der Kollegin aus dem orientalischen Haushalt bewerkstelligen sollte.

Wir hatten einen Schlüssel und betraten das Gemach; auf einem kleinen Zettel stand, was wir holen und wo sich das befinden sollte. Der Schrank von meinem linksradialen Mitstreiter wäre dazu bereit gewesen, den leicht erregbaren Ehemann in Schach zu halten. Gott sei Dank war der Orientale aber wohl mit seiner antideutschen Regierungsberatung beschäftigt und erschien nicht. Ich hätte mir wohl in die Hose gemacht.

Das Veilchen heilte ab und wir hielten den Mund. Die Ehe der Kollegin wurde still und leise geschieden. Sie war mit dieser Ehe buchstäblich in eine Parallelwelt eingetreten und dort auch wieder herausgekommen.

Im Gegensatz zu den unzähligen schutzlosen Frauen, die selber mit dem Leben fertig werden müssen, war die blauäugige Kollegin Angehörige der so genannten Oberschicht; solche Leute fallen weich. Sie trat in einen Verlag ein und heiratete dann einen stinkreichen Verleger, der ihr erlaubte, hübsche Bücher über Frauenrechte zu publizieren.

Es endete in einem Haus am See, in der besten Berliner Gegend, mit unzähligen kleinen Aufsätzen, aus denen der alte Hass sprühte, jetzt unter dem Schirm des ganz großen Londoner Kapitals, das ihren Ehemann versorgte. „Schließlich sind wir da nicht an der Supermarktkasse, ich scheiße auf die kleinen Leute“, scherzte sie, als wir uns das letzte Mal sprachen. Das putzige Geheimnis blieb gewahrt.

Heute grüßt sie mich nicht mehr, kennt mich gar nicht mehr. Wie alle von damals.

feminismus Schande von Köln

Über Siegfried Mayr

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