Mit der österreichischen Volksmusik verbindet man einerseits eine noch an Volksfesten präsente, aber auch schon aussterbende, traditionelle Musikform und anderseits die im Fernsehen laufende popkulturelle und „schlagerverseuchte“ Unterhaltungssendung „Musikantenstadl“, welche lediglich von einem Ü50-Publikum genossen wird. Zweites hat mit der ursprünglichen Volksmusik meist wenig bis gar nichts mehr zu tun, stattdessen hat sich in der österreichischen Neofolk Szene eine Unterkategorie gebildet, die man mit ihren u. a. alpinen Klängen passenderweise als „Heimatfolk“ oder auch „Neo-Volksmusik“ bezeichnen darf. Hier bietet sich gewiss eine erfrischende Gegenkultur für einige Jugendliche, die nicht irgendwo zwischen DIE SEER und HUBERT VON GOISERN stecken geblieben sind. Unter anderem wären Projekte wie JÄNNERWEIN, KLAMMHEIM oder STURMPERCHT beziehungsweise das Label und Mailorder STEINKLANG INDUSTRIES zu nennen. In der österreichischen Szene haben sich besonders zwei Projekte, die sich nicht wirklich dem Folklore-Stil, sondern eher dem Post – Industrial zuordnen lassen können, als Pioniere etabliert. Ohne diese Gruppen hätte sich vermutlich nie so eine starke Entwicklung vollziehen können.
Die Anfänge
Allerseelen
Auch wenn man ALLERSEELEN nicht ganz einen folkigen Charakter, mit Ausnahme einiger weniger Lieder, zuschreiben kann, hat dieses Soloprojekt doch einen gewaltigen ersten Baustein in der österreichische Szene gesetzt. Ob sich der Oberösterreicher Gerhard Hallstatt, vormals mit dem aus der Kabbala stammenden Namen KADMON, an dem katholischen Feiertag oder dem Kunstlied von Richard Strauss orientierte, vermag nur jener zu beantworten. In den 80er Jahren begann er als rituell, mit starken Einflüssen von Industrial, geprägtes Projekt und wurde unteranderem vom britischen Okkultisten A. Crowley, dem Surrealismus und Beteiligungen am Wiener Aktionismus inspiriert. Musikalische Impressionen erlangte er durch befreundete Gruppen wie BLOOD AXIS und ERNTE, wodurch seine Musik einen stark spirituellen sowie archaisch geprägten, rhythmischen und instrumentellen Charakter annahm. Demnach lassen sich auch starke Parallelen an Ritualmusik aus Tibet feststellen. Eine Knochenflöte, Metalltrommeln sowie Geige und ähnliche selbstgebaute Instrumente waren, anstatt wie bei anderen Musikgruppen die Tonsamples, das Grundgerüst für diese Klänge. Mit dem Begriff „Technosophische Tonkunst“ bezeichnet er seine später entwickelten, auf Samples basierende Klangkulissen. Die Werke von ALLERSEELEN sind stark an Themen konzentriert wie zum Beispiel den Landschaften von Island, dem Mithraskult, filmische Künstler wie Alejandro Jodorowsky sowie Leni Riefenstahl oder auch einer Großzahl von Dichtern und Literaten wie Rainer Maria Rilke, Ernst Jünger und Ezra Pound. In letzterer Zeit veränderte sich der Stil von Allerseelen noch zunehmender als zu Beginn des Projektes. Phantasievolle Sample Einsätze haben das stark rituelle Klangbild leicht abgesetzt. Welches Thema sich auch immer gerade in einem seiner Lieder musikalisch widerspiegelt, es werden unter anderem Flamencorhythmen oder Tango-Versatzstücke gespielt, dazu ein dröhnender Bass und dumpfer Sprechgesang, wodurch sich schon Beeinflussungen von DAF oder LAIBACH erkennen lassen. Das Ergebnis lässt sich als ein sehr individuelles, vielleicht „verrücktes“, aber ebenso durchaus mediterranes, warmes und hypnotisches Bild von Klängen bezeichnen. Gerhard Hallstatt wirkt innerhalb der Szene, nachdem er sich auch publizistisch verewigt hat, als geistiger Stichwortgeber, er hat mit seiner Musik einen eigenen Stil kreiert, der bisher noch keine wirklichen musikalischen Nachfahren hervorbrachte, da sie vielleicht einem zu besonderen und speziellen Herzen entsprungen ist. Als Anspieltipp bietet sich sehr gerne das Lied „Sonne Golthi-Ade“, welches auf dem Album „Flamme“ aus dem Jahre 2004 zu finden ist.
Der Blutharsch
Kommen wir nun zu einem der berüchtigtsten und humorigsten Projekte aus Österreich, genauer gesagt Wien, DER BLUTHARSCH. Der Name ist eine altertümliche Schweizer Bezeichnung für tapfere Söldner aus dem 15. Jahrhundert. Natürlich werden unter solch einem Namen martialische Klänge geboten. Der Mann hinter dem Projekt nennt sich ALBIN JULIUS. Bevor DER BLUTHARSCH existierte, gab es zusammen mit seiner Ex – Lebensgefährtin das Projekt THE MOON LAY HIDDEN BENEATH A CLOUD, die einen wahren Kultstatus in der Szene erlangt haben. Typisch für DER BLUTHARSCH sind in früher Zeit der grollende Dark-Ambient-Sound, Orchestersamples, Einschübe von Marschmusik, Sirenen aus dem 2. Weltkrieg, die die Bevölkerung vor damaligen Fliegerangriffen warnten, oder auch Samples aus Filmen, Schlagerhits der 30er und 40er sowie Trommel und anderes Schlagwerk. Die gesamte Klangkulisse sollte die Phantasie des Hörers in ein Weltkriegsszenario hineinversetzen, so kann man die Musik auch als Soundtrack zu einem möglichen Phantasiefilm im Kopf bezeichnen. Hinzu kommt auch, dass auf sämtlichen DER BLUTHARSCH – Alben keine Titel für das Liedgut vergeben wurden, denn dies würde wiederum, laut ALBIN JULIUS, das eigene Kopfkino in der Phantasie einschränken. Die jüngeren Alben sind weniger vom älteren Post – Industrial, sondern mehr von Elemente des klassischen Rocks geprägt. DER BLUTHARSCH hat in der Szene nicht umsonst einen Kultstatus erreicht, denn vor ihnen gab es kein Projekt, welches sich so stark mit martialischer Ästhetik auseinandersetze – eine mögliche Ausnahme wäre vielleicht TURBUND STURMWERK. Viele neuere Gruppen wären dadurch auch nicht denkbar. ALBIN JULIUS sorgt auch gleichzeitig in Interviews, sowie beigelegten Postkarten auf den jeweiligen Tonträgern dafür, dass der Humor nicht verloren geht. Dieser Künstler hat offensichtlich so unapologetisch Spaß daran, durch seine Ästhetik die Kritiker zu ärgern, die zumindest eine zutiefst deutsche Buße oder einen tieferen Sinn fordern, aber auch zur Freude vieler Fans, die wiederum ALBIN JULIUS‘ Freude am Spiel mit tabubelasteter Ästhetik und, laut ALBIN JULIUS, seine schmutzige Form des Rock‘n‘Roll teilen. Als Anspieltipp wird hier das Lied „IV“, vom Album „Time Is Thee Enemy!“ aus dem Jahre 2003 angeführt.
Zur Ehrenrettung der (traditionellen) Volksmusik, bzw. speziell der Blasmusik, sei angemerkt, daß sie zwar aus der öffentlichen Wahrnehmung weitestgehend verdrängt wurde und mehr oder weniger ein „Szene-Dasein“ fristet. Aber innerhalb dieser „Szene“ lebendig wie eh und je ist. Gerade und vor allem auch in Österreich – wie das „Woodstock der Blasmusik“ (www.woodstockderblasmusik.at) beweist.