Carl Schmitt zählt zu einer der umstrittensten Personen des neurechten Lagers. Seine direkte Verstrickung in den NS trug ihm den Titel des „Kronjuristen“ ein. Seine unerreicht klare und scharfe Theorie des Politischen macht ihn jedoch – weit über das „rechte Lager“ hinaus – zu einer der geistigen Größen des 20. Jahrhunderts. Nach 1945 verfemt und ob der radikalen Ausgrenzung zunehmend verbittert, konnte Schmitt dennoch einen Kreis um sich aufbauen und wirkte im akademischen Raum ungebrochen weiter.
Schmitts Thesen und Theorien sind vor allem durch ihre Radikalität, ihre Klarheit gekennzeichnet, die der, sich als realistischer „Amoralist“ gebende Jurist, stilsicher in pointierte Aphorismen prägte. Viele seiner Sprüche, allen voran „Wer Menschheit sagt, will betrügen“, gehören zu geflügelten Worten im neurechten Lager. Es ist wohl vor allem diese Mischung aus geistiger Klarheit und Schärfe, unerbittlicher Radikalität im „zu Ende Denken“ mit lakonischem Witz und schnodderiger Leichtigkeit, die Schmitts Faszination ausmachen.
Schmitts Kampf galt seit jeher der „Pseudo-Religion der absoluten Humanität“.1 Er steht in der Tradition verschiedener reaktionärer Autoritätsdenker und verteidigt den Eigenbereich des Politischen gegen moralisch begründete Übergriffe aus der Politik. Das Politische, dessen Wesen die Unterscheidung zwischen Freund und Feind ist, geht dem Staatlichen voraus.
„Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus. Staat ist der politische Status eines Volkes.“2
Das Politische
Das Politische, als agonales Gesetz der Spannung, ist, einfach gesagt, die faktische Tatsache, dass der Mensch je schon in natürlichen Gemeinschaften existiert, die kleiner sind als die „Menschheit“ als numerische Summe aller Menschen. Das beginnt mit der Familie und endet mit Volk und Zivilisation. Die Identität des Menschen bildet sich stets in exklusiven Gemeinschaften, die wiederum ihre Identität in Abgrenzung und Unterscheidung zu anderen gewinnen. Diese Frage, wer Teil der Gemeinschaft ist und wer nicht, wer „drinnen“ und wer „draußen“ ist, ist zugespitzt in der Frage nach Freund und Feind, das Wesen des Politischen. Die existenzielle Entscheidung zwischen „Wir“ und „Sie“ macht seine Spannung aus.
Der Staat als „politischer Status“ und Modus des Politischen trägt dieser Spannung Rechnung und macht diese Entscheidung zum Gesetz. Er ist aber nicht die einzig mögliche Ausprägung der Politik: Sie entsteht nicht mit ihm. Er konstituiert sich in der und gegen die Spannung des Politischen und erhält sich gegen innere Zerfallskräfte und Feinde von außen. Jede Differenz kann sich theoretisch zu einer politischen Feindschaft und bis zu Krieg steigern. Solange es Differenzen gibt, lebt auch die Möglichkeit zum Krieg, den Carl Schmitt in der für ihn typischen „antiken Ehrlichkeit“ nicht moralisch verdammt, sondern als Teil des Lebens anerkennt. Der Souverän ist derjenige, der über den Ausnahmezustand bestimmt und kollektiv bindend für die ganze Gemeinschaft jemanden zum „Feind“ und damit den Krieg erklären kann.
Konkrete Ordnungen
Es ist unmöglich, hier das ganze Theoriegebäude Schmitts auch nur annähernd zu umreißen. Mir erscheint als Schlüssel zum Verständnis von Schmitt jedoch der Begriff des „konkreten Ordnungsdenkens“. Das Recht ist kein abstraktes und beliebiges Medium, das über Kontrakte gesetzt wird, sondern es erwächst aus konkreten, das heißt geschichtlichen Lebensordnungen.
Schmitt erkennt die notwendigen und unumgänglichen Ordnungsprinzipien, die sich in einer agonalen Welt der Spannung niemals aushebeln und aufheben lassen. Eine Vielfalt an Gemeinschaften, Identitäten und Interessen führt zu Grenzen und Staatsformen, Aus- und Einschlüssen. Der Krieg und die Diktatur sind die ständig möglichen Kulminationspunkte dieser Spannung, die nach Schmitt nicht geleugnet, sondern gehegt werden soll. Und es ist tatsächlich die antik-ehrliche Anerkenntnis von Krieg, temporärer (kommmisarischer) „Diktatur“, Ordnung, Grenze und Hierarchie, die Schmitts Denken ausmacht und es in Nachbarschaft zu einem traditionalistischem Katholizismus bringt.
Diese Ehrlichkeit ist nach Schmitt die einzige Möglichkeit, mit Krieg, Diktatur und Anarchie umzugehen. Es ist die Anerkenntnis, dass es einen gewissen Eigenbereich, eine eigene „Logik“ der politischen Auseinandersetzung gibt, in der eigene Gesetze gelten. Hypermoral (Gehlen) und Gesinnungsethik (Weber), die alle linken Ideologien ausmachen, geben zwar vor, Krieg und Herrschaft (und damit eigentlich das Politische) für immer abzuschaffen; eigentlich entgrenzen sie diese Mächte aber nur, indem sie die politische Ordnung und Souveränität abschaffen und alles in ethischen und wirtschaftlichen Fragen auflösen.
„In einer überaus systematischen Weise umgeht oder ignoriert das liberale Denken den Staat und die Politik und bewegt sich statt dessen in einer typischen, immer wiederkehrenden Polarität von zwei heterogenen Sphären, nämlich von Ethik und Wirtschaft.“3
Gegen die Liberalen
Carl Schmitts Theorie des Politischen steht damit im scharfen Gegensatz zu einer liberalistischen Fortschritts- und Entwicklungstheorie, wonach vom Einzelnen, über den Stamm, die Nation, bis hin zur Menschheit, eine ständige Erweiterung und Vergrößerung der Staatlichkeit bis hin zum Weltstaat fortgeführt wird. Die Totalvermischung von Moral und Politik, der Hass auf den Staat und seine konkreten Ordnungsprinzipien, die intrinsisch für globale Vielfalt und Spannung stehen, machen die modernen Ideologien aus und führen zum Totalitarismus, zu „souveränen Diktaturen“. In ihnen ist der Feind, gerade weil sie die Feindschaft an sich abschaffen wollen, kein konkreter, temporärer Feind mehr. Er wird zum Feind an sich, gegen den der ebenso entgrenzte „heilige“, letzte „Krieg gegen den Krieg“ geführt werden müsse. Das Ende der Geschichte, das die Universalisten anstreben, erkennt Schmitt klar aus der Auflösung des konkreten Staates (und der konkreten Kulturen und Völker) in einer globalisierten Gesellschaft, die Auflösung von Politik und Souveränität in wirtschaftlich-formalistischen Fragen.
Der „Weltstaat“, der als geheimes Ziel in der Parole von Weltfriede und Menschenrechten mitschwingt, soll alle Konflikte und Differenzen befrieden, indem er eine einzige globale Einheit schafft, die dem „von unten“ postulierten Egalitarismus juristische Geltung verschaffen soll. Schmitt, der hier mit einem seiner besten Leser – Alain de Benoist – parallel gelesen werden kann, erkennt, dass diese Ideologie letztlich suizidal ist und nur zu Zerstörung und Anarchie führt.
Sowie jede Identität notwendig den Anderen zu ihrer Abschärfung und Abgrenzung benötigt, so braucht jede Staatlichkeit zu ihrer Konstitution eine Grenze und die Abgrenzung zum Anderen.
Der „Weltstaat“ ist gar kein Staat; es ist die Negation jedes Staates, genau wie ein „Weltvolk“ eine Contradictio in adiecto ist. Menschheit, das will der zitierte Aphorismus von Schmitt ausdrücken, ist weder ein politischer noch ein kultureller Begriff. Wer konkrete politische Forderungen mit dem Verweis auf die „Menschheit“ abtut, will damit meist seine eigene politische Machtstellung verschleiern. Der Kampf gegen Staat und Politik der linken Ideologen entpuppt sich eigentlich als Kampf gegen Identität und Differenz, als Kampf gegen die Conditio humana und die Grundzüge unseres Daseins überhaupt. Schmitt stellt das in brillianter Weise klar – und die Linken mit süffisanten Apperçus bloß.
Schmitt und die Demokratie
Seine Bedeutung für eine identitäre Kritik und ein identitäres Demokratieverständnis, das Thema dieses Monats ist, liegt in seiner klaren Unterscheidung von konkreter Staatspolitik und der liberalistischen, universalistischen Ideologie. Diese fundamentale Unterscheidung arbeitet er vor allem in der Schrift über die „Geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“, aus dem Jahr 1923, heraus. Im „Parlamentarismus“ sieht Carl Schmitt keinen integralen Bestandteil oder eine Vollzugsform der Demokratie, sondern eine liberalistische Ideologie. Sie glaubt an die Macht der Öffentlichkeit, der Diskussion und der Debatte, die aber vor allem an utopische Voraussetzungen wie Ehrlichkeit und Aufgeschlossenheit der politischen Vertreter gebunden ist. Tatsächlich bringt der Parlamentarismus nach Schmitt aber einen falschen Pluralismus und die Aufspaltung und Lähmung des Staates in tausendundeiner „Interessensgruppe“ hervor, die unerbittlich und unversöhnlich um die Macht kämpfen.
Diese Gruppen, die sich selbst als kleine Staaten im Staat gerieren, sehen diesen als Beutewert und sollen, als pars pro toto, die Alleinvertreter des Ganzen werden. Es fehlt ein gemeinsamer Grundsatz, ein Rahmen des Politischen, der diese Vielfalt zu etwas Organischem macht. Die Parteien sind nicht mehr „diskutierende Meinungen“, die zu einer Entscheidung im Sinne des Gemeinwohls führen, sondern „soziale oder wirtschaftliche Machtgruppen, die gegeneinander Krieg führen“. 4
Schmitt definiert die Demokratie in seinem Sinne aber nicht als eine Sammlung formaler Regeln über das Zustandekommen von Meinungen. Ihr entscheidendes Merkmal ist die „Homogentität der Bürger“. „Jede wirkliche Demokratie beruht darauf, dass nicht nur Gleiches gleich, sondern mit unvermeidlicher Konsequenz, das Nichtgleiche nichtgleich behandelt wird.“6
Grundprinzip der Demokratie ist die Definition des „Demos“, dessen wer dazugehört und mitentscheiden darf und wer nicht. Dieser Ausschluss, diese Exklusion, die anhand eines konkreten Merkmals stattfinden muss, macht das Wesen der Demokratie und eines jeden Gemeinwillens oder Gemeinwohls aus, das sich als konkretes Interesse nur in der Abgrenzung gegenüber anderen bilden kann. Die Idee einer reinen, absoluten und universalen Gleichheit ist nach Schmitt undemokratisch. Die heutigen westlichen Demokratien, die die Homogenität ihrer Gemeinschaften gezielt zerstören und so agieren, als gäbe es eigentlich kein Staatsbürgerrecht, als gäbe es keine Grenzen und als hätte ein jeder Mensch, qua seines Menschseins Anspruch auf unsere subjektiven nationalen Rechte, sind in Schmitts Sicht geradezu „Anti-Demokratien“.
Der Machtkampf ideologischer Parteien um die Souveränität, wie er sich zu Schmitts Zeit abspielte, liegt heute nicht mehr vor. Dennoch findet keine echte Demokratie als Entscheidungsfindung einer konkreten Gemeinschaft statt. Überall in Europa entwickeln sich die „Demokratien“, wie von Zauberhand, in dieselbe Richtung, werden multikulturelle Einwanderungsgesellschaften und Provinzen immer größerer supranationaler Gebilde. Die Polit-Darsteller wechseln immer rascher, werden immer austauschbarer und gesichtsloser. Die kurzen Legislaturperioden und die Machtlosigkeit der einzelnen Akteure, auf die instinktiv der fehlende Respekt gegen Staatsoberhäupter vonseiten des Volkes antwortet, sind nur scheinbar Anzeichen von „Demokratie“. In Carl Schmitts Sicht bedeutet dies, dass der eigentliche Souverän, der die langfristigen Entwicklungen bestimmt und die großen Weichen stellt, woanders sitzt, dass sich die Macht hinter dem intransparenten Geflecht der Parteien, in anderen Bereichen verbirgt. Der Glaube Europas, dass man in eine „postpolitische“ Phase des Friedens eingetetreten sei, dass die EU als „antiimperialistisches Imperium“ (Barroso) den Weltfrieden ernten werde, erweist sich immer mehr als gefährlicher Irrtum.
„Wenn ein Volk die Mühen und Risiken der poltischen Existenz fürchtet, so wird sich eben ein anderes Volk finden, daß ihm diese Mühen abnimmt, indem es seinen ›Schutz gegen äußere Feinde‹ und damit die politische Herrschaft übernimmt; der Schutzherr bestimmt dann den Feind, kraft des ewigen Zusammenhanges von Schutz und Gehorsam.“ 5
Schmitt heute
Schutzherr Europas war bisher die USA, als deren widerwillige, moralisch-bedenkliche Vasallen sich die europäischen Staatslenker bisher gefielen. Gerade in der heutigen „Refugee“-Krise, in den Debatten über Migration als geopolitische Waffe, zeigt sich mehr denn je die Scheindemokratie der westlichen Staaten. Die politische Kaste, die sich in ihren liberalistisch-parlamentaristischen Systemen gegen den Volkswillen verschanzt hat, den sie mit medialer Gewalt und Zerstreung sediert, hat nicht das Recht, sich als „demokratisch“ zu bezeichnen. Ihr größtes Verbrechen liegt zuletzt in der Zerstörung der Möglichkeitsbedingung der Demokratie, in der mutwilligen Vernichtung der ethnokulturellen Homogentität Europas. Die ständige Fragmentierung, Spaltung und Deterritorialisierung, die „Demobilisierung“ (Frank Salter) des eigenen Volkes ist ihre Strategie zur Umsetzung von „Menschheit und Weltstaat“. Die letzten Überreste nationaler Staatlichkeit werden wie lästige Fesseln abgestreift und eine „No border“-Ideologie scheint fast die neue Staatsdoktrin geworden zu sein. Mit Schmitt sehen wir, dass dieser Weg ins Nichts, ins Chaos und in die Selbstzerstörung führt. Gerade in Zeiten, in denen „realpolitische“ Stimmen aus allen Lagern, wie Sarrazin, Heinsohn u.a., immer lauter werden, in denen Putins Vertretung des Völkerrechts gegen den Welthegemon USA immer breitere Unterstützung findet, könnte Schmitt ein weiteres Revival bevorstehen.
1Charl Schmitt Donoso Cortès, in Gesamteuropäischer Interpretation, Köln 1950.
2Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, 1927, S. 20
3Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, 1927, S. 41-42
4Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 1923, S. 11
5Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, 1927, S. 53
6Carl Schmitt, Die geistesgeschlichte Lage des Parlamentarismus
Hallo Martin Sellner,
du schreibst in deinem Text „Grundprinzip der Demokratie ist die Definition des „Demos“, dessen wer dazugehört und mitentscheiden darf und wer nicht. Dieser Ausschluss, diese Exklusion, die anhand eines konkreten Merkmals stattfinden muss, macht das Wesen der Demokratie und eines jeden Gemeinwillens oder Gemeinwohls aus, das sich als konkretes Interesse nur in der Abgrenzung gegenüber anderen bilden kann.“
Ich würde gerne wissen, welches dieses konkrete Merkmal bei Carl Schmitt sein soll und, wenn davon abweichend, welches es in der identitären Vorstellung ist.
Vielen Dank