Review Overview
Überraschend gut
Summary : Gute Satire, die den geringen Tiefgang mit treffenden Pointen wettmacht.
Wer mich kennt, weiß, dass ich eine gewisse Vorliebe für Zombiefilme hege. Weniger wegen Splatter und Gemetzel als wegen des postapokalyptischen Flairs – selbstverständlich. Vielleicht bin ich deswegen auf „Zeit der Kannibalen“ gestoßen. Titel und Cover lassen sofort an einen Film dieses Genres denken – das ist aber auch schon alles.
Als nach dem Trailer Öllers und Friedländer, zwei deutsche Consulter auf Geschäftsreise, am Bildschirm erschienen, wollte ich schon wegklicken. Ich hasse deutsche Komödien und erst recht deutsche Bürokomödien. Switch reloaded fand ich nie gut und spätestens wenn diese unlustigen, brachialhumorigen weiblichen, deutschen „Comedians“ auftreten, packt mich der pure Ekel.
Mehr als ein pseudoironisches „Fack ju Göhte“ scheint vom deutschen Film derzeit ohnehin nicht zu erwarten zu sein – so dachte ich. „Zeit der Kannibalen“ entpuppte sich aber rasch als gut gemachtes Kammerspiel, in dem zeitweise sogar echte Satire auftritt.
Raum und Zeitlos
Öllers und Friedländer, die beiden Hauptdarsteller sind Teil einer Beratungsfirma, „die company“ genannt. Sie jetten um den Globus, checken in immer gleichen Businesshotels ein und verschieben in ihren Meetings Millionen hin und her. Zynismus, Sadismus, Neurosen und Exzesse sind ihre ständigen Begleiter. Ihr größter Traum ist es, Partner in der „company“ zu werden.
Der gesamte Film spielt in den Räumlichkeiten eines Hotels in Lagos, der Hauptstadt von Nigeria. Während Friedländer, der auf einen international normierten Einheitsstandard der Hotels höchsten Wert legt, die Angestellten herumscheucht und Öllers zwischen Geschäftstelefonaten seine Ehekrise kittet, schallen von draußen immer wieder MG-Salven und Schreie.
„Religious troubles“, wie die Pagen beiläufig erwähnen, die den beiden Yuppies völlig gleichgültig sind. Sie haben sowieso nicht vor, ihr klimatisiertes, standardisiertes Hotel zu verlassen und sich „Aids zu holen“. Der ätzende Dreck, der sich von außen an die Fensterscheiben legt („Ein Tag da draußen ist wie zwei Wochen Dauerrauchen“), blendet die Außenwelt endgültig aus. Sie könnten genausogut in Kapstadt, Taiwan, Pjöngjang oder LA sein.
Jenseits von Raum und Zeit, Kultur und Architektur schwebt ihre Etage in einem gräulichen Zwielicht. Ihr Hotelzimmer ist die vernetzte, normierte Botschaft eines übernationalen Weltstaats namens Globalisierung. Auch die Politik kommt in diesem Film nicht mehr vor. Öllers und Friedländer bewegen sich in einer Zone, in der das Ende der Geschichte, die Zeit- und Ortlosigkeit bereits eingetreten sind.
Vertreter des Liberalismus
Der Film ist aber weniger eine Anklage des „Kapitalismus“, der Manager und ihrer „Gier“. Es geht nicht um Ausbeutung und Ungerechtigkeit. Vielmehr werden das Aufeinanderprallen zweier Welten, die neokolonialen Aspekte westlicher Globalisierung ebenso aufs Korn genommen, wie die „humanistischen“ Rechtfertigungsideologien.
Öllers und Friedländer spielen dabei die polternden Ignoranten, währen die später dazustoßende Bianca März, den idealistischen Anstandswauwau geben darf. Keine dieser Figuren ist ernsthaft gezeichnet, keine der Dialoge weist philosophischen Tiefgang auf und der Klamauk bleibt letzter Souverän über das Geschehen. Die Pointen sitzen dabei aber so gut, dass das nicht weiter stört. Auch darf man wohl nicht weiter nach einem echten Plot oder einer zentralen Aussage fragen. Laut Regisseur geht es um eine „bitterböse Abrechnung mit dem so genannten Turbo- oder Raubtierkapitalismus“. Bis zu seinem lakonischen Ende bleibt der Film ein weder moralisierendes noch kaltblütig-verstörendes Potpourri aus Satire, das gleichermaßen unterhält und zu denken gibt.
Der Zuseher muss sich aber selbst einen Reim auf die endgültige Aussage des Films machen. Ich will diese Aufgabe keinem abnehmen und stattdessen die Protagonisten und ein paar der besten Dialoge des Films beschreiben.
Sitzende Pointen
„Die Zeit der Kannibalen“ lebt, wie jedes Kammerspiel, maßgeblich von seinen Hauptdarstellern. Diese sind, sowohl in ihrem Skript als auch in ihrere Besetzung, nett getroffen. Der perfekt gestylte Friedländer, wie aus einer Nespresso-Werbung entsprungen, betreibt die in Managerkreisen übliche Selbstdisziplinierung. Er trainiert jeden Abend, seinen Koffer schneller und rationaler zu packen und legt höchsten Wert auf Normen und Regelmäßigkeit. „Die Beherrschung von Routinen gibt uns die Zeit, darüber nachzudenken, was man unter Umständen besser machen könnte“, so verteidigt er redegewandt seinen neurotischen Wahn in Bezug auf Hotelzimmer. Passt ihm etwas nicht, misshandelt er die Hotelboys, tritt und prügelt sie durch den Raum. Einmal wollte er in die Politik gehen. Er ist bei den Grünen, weil er in der Jugend Wanderkröten beschützen wollte.
Öllers, etwas gedrungener, vom Typ Macher und Bully, ist ein Ausbund an Sarkasmus und Ignoranz. Er beleidigt fremde Kulturen, frönt dem Sextourismus und sieht das alles noch als „Entwicklungshilfe“. Als Bianca ihn fragt, was er denn gegen das Elend der Welt tun wolle, antwortet er: „Ich verbreite den Kapitalismus“. Bianca: „Der Kapitalismus soll die Welt retten?“ Öllers: „Nein der Kapitalismus soll diese Welt zerstören!“
Er ist ganz bewusst Teil im Getriebe der Globalisierungsmaschinerie, weil er mit Freude beobachtet, wie ihr Fortschritt die Traditionen zerstört. Besser noch als Entwicklungshilfe und Menschenrecht wirken Mc Donalds und Marktwirtschaft, wenn es um die Zivilisierung der „Barabaren“ geht, was Öllers auch als seine sexuelle Aufgabe betrachtet.
Die „Wilden“ in Form von gesichtslosen afrikanischen Hotelboys lassen sich im Film diese neokoloniale Behandlung willig gefallen, suchen stundenlang, vom panischen Friedländer gehetzt, nach einer Mücke, die ihn gestochen hat. Mucken nicht einmal auf, wenn sie durchs Zimmer getreten werden. Ja, in einer besonders absurden Szene, nachdem das dynamische Duo einen afrikanischen Firmenbesitzer in den Ruin und aus dem Raum getrieben hat, beginnt sich seine Stellvertreterin bettelnd zu entkleiden, um von ihnen „mit nach Europa“ genommen zu werden.
Bianca März propagiert dagegen einen „gleichgestellten Dialog“ und „Toleranz“, und beweist herrlich die Heuchelei dieser Phrasen, als sie gouvernantenhaft mit ihrer islamisch-nigeriansichen Putzfrau smalltalken will.
Wer ist hier Opfer?
Nein, hier gibt es keine „edlen Wilden“, gern auch in Gestalt braver Mittelständler, die von bösen Konzernchefs vergewaltigt werden. In einem leidenschaftlichen Plädoyer verteidigt Niederländer die sexuellen Eskapaden seines Kompagnon gegen die entsetzte Fr. März. Sie sei hier die wahre Frauenfeindin, da sie es einer Frau nicht zugestehe, frei und autonom über ihren Körper zu verfügen, wenn sie ihn um Geld auf den Markt feil bietet.
Auch die demütige Unterwürfigkeit der Afrikaner wird so zum Akt des freien Willens. Sie verkaufen ihre Würde für die paar harten Dollar Trinkgeld, die ihnen Niederländer manchmal zusteckt. Sie sind keine Opfer, sie wollen den Westen, das High Life, den „american way“, den sie aus dem Fernsehen kennen. Ebensowenig sind die Vertreter der company böse, „gierige“ Täter.
Wer ist Opfer, wer Täter? Die einzig richtige Antwort lautet: alle. Es liegt nicht an einer bestimmten Menschengruppe („Banker“), an einer bestimmten Charakterschwäche („Gier“) – der Fehler liegt im System. Denn Öllers, Friedländer und März stecken genauso in einem System aus Gewohnheiten, Abhängigkeiten, Pflichten und Ängsten fest. Sie sind Getriebene. Hier erweist es sich als aufschlussreich, dass der Film ein deutscher ist. Verschmelzen hier doch der zackige preussische Arbeitsethos mit dem protestantisch-angelsächsischen Geist des Kapitalismus, wie im Slang der beiden Consulter das Unternehmerdeutsch mit dem Businessenglisch. Sie sind fleißig, strebsam, gehorsam und in jeder Hinsicht korrekt. Auch politisch. Überrascht entdecken die Figuren an einer Stelle, dass sie alle Mitglieder bei den Grünen sind. Parolen der green economy wie „People, profit, planet“ können sie fehlerfrei herunterleiern.
Hier zeigt der Film seine großen Stärken. Der absolute Brüller ist als Öllers in einem emotionalen Moment gesteht, dass er als Jugendlicher „Künstler“ werden wollte. Seine Einsendung zu einem ausgeschriebenen Holocaust-Denkmalwettbewerb wurde aber verworfen. Zu radikal. Der kleine Öllers wollte alle Straßen und Plätze im Berliner Regierungsviertel nach Konzentrationslagern benennen. Der typisch deutsche Perfektionismus, der „Mordskerl Deutschland“, der von „Holocaust-Industrie bis zum Export von Farbstoffen immer „Weltmeister“ sein muss, ist hier treffend karikiert. Als es im Schuldkult-Business nicht klappte, wandte sich Öllers eben mit demselben Eifer dem Consulting zu. Nur der Beste, nur immer korrekt sein – in was auch immer. Im Wechseltakt von Arbeitswahn und Partyexzess geprägt, von Leistungsmaximierung verblödet und heucherlischen Moralphrasen verdorben, repräsentieren die drei verlorenen Seelen in ihren Hotelzimmern den Status Quo des modernen Bundesbürgers.
Der Islam crasht die Party
In seinem unvermittelten Chaos-Ende wird der Film gar prophetisch: Während die drei von der Bankzelle in ihren ortlosen Konferenzzimmern wechselweise um ihre Jobs bangen und ihre Beförderungen feiern, braut sich in Lagos ein islamistischer Umsturz zusammen. Das immer lauter werdende Dröhnen der Mörser ignorieren sie. Die Behörden sollen sich um diese „religious troubles“ kümmern. Ein kurzes Wortgefecht zwischen Öllers und März steckt andeutungsweise die Grenze zwischen neokonservativen und linksutopischen Multikulturalismus ab. Damit ist das Thema abgetan: Das „rule of law“ soll sich um die Wilden kümmern und die Sicherheitsfirma der „company“ sie rechtzeitig rausholen. „Hier im Hotel sind wir sicher“.
Das blinde Vertrauen in den sicheren internationalen, akulturellen und postreligiösen Raum, in dem allein das Kapital als „Zivilisation“ herrscht, zerbricht aber spätestens mit der Zimmertür, als Mohammendaner das Hotel stürmen. Wie IRL beendet der Islam die multikulturelle Party des Westens. Er wächst, von neokonservativen und linksgrünen Multikultis verharmlost, in den ausgeblendeten Randgebieten unseres Bewusstseins, bis das postmoderne Kartenhaus unter seiner Eruption zusammenbricht. Das ist jetzt vielleicht eine krasse Überinterpretation dieser, für deutsche Verhältnisse hervorragenden, satirischen Komödie. Um das zu beurteilen, müsst ihr sie euch aber selbst ansehen.
Ich habe nicht vor, mir dieses Machwerk anzuschauen.