Review Overview
Mittelmäßig
Gesamteindruck
Summary : Besonders gut für Einsteiger geeignet, Erfahrene könnten sich gelangweilt fühlen.
„Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“
Mit diesem geradezu magischen Satz beginnt Franz Kafkas Roman „Der Proceß“. Von diesem Augenblick an verändert sich das Leben des Bankprokuristen K. langsam und bedächtig, aber nachhaltig. Er gerät in einen bürokratischen Apparat, so surreal wie rätselhaft. Mit dem Adjektiv „kafkaesk“ charakterisiert man später diese Welt. Kaum einer der Leser dieser Rezension, der Kafka kennt, wird noch nie eine Parallele seines Werkes zur Realität geschlagen haben. Anlässe dafür gibt es freilich genug: Geheimverhandlungen auf EU-Ebene und „Political Correctness“ sind nur die ersten Punkte auf einer Liste, die sich wohl seitenlang hinziehen würde.
„Political Correctness“ ist auch im Besonderen ein Stichwort für das Buch, um das es heute gehen soll: „Ruhrkent“ von „C. M.“, erschienen im Telesma-Verlag. So wie Josef K. von Kafka anonymisiert worden ist, gibt der Autor des Buches auch nur seine Initialen an. Der geneigte Leser ahnt bereits warum: Das, was in diesem Buch zur Sprache kommt, gehört es sich nicht – oder zumindest nicht länger – zu sagen.
„Ruhrkent“, das ist in diesem Roman nicht einfach nur „Neusprech“ für die Region, die man heute das Ruhrgebiet nennt, sondern auch Bezeichnung für das dortige Autonomiegebiet innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Die autochthone Bevölkerung wurde hier nahezu verdrängt und Einwandererscharen aus allen Teilen der Erde überschwemmten die Region. Es entsteht ein multikultureller Musterstaat mit intensivster Förderung durch bundesrepublikanische Behörden.
Das einzig positive, das man diesem Flecken Erde nun vielleicht noch abgewinnen kann: Das Regionalparlament ist keine Quatschbude, sondern regelmäßiger Schauplatz von Wortgefechten im eigentlichen Sinne. Die nicht mehr ganz so „Minderheiten“-Parteien verlegen den Stellvertreterkrieg von der Straße ins Abgeordnetenhaus. Wenig verwunderlich spielen türkische Vertreter hier eine nicht unerhebliche Rolle.
In Ruhrkent herrscht umgekehrte Diskriminierung: Wer die meisten „Privilegien“ vorzuweisen hat, wird benachteiligt. Mit schlechter Kindheit und außereuropäischem Migrationshintergrund hat man gute Karten. Der Protagonist Henning Peters hat als Teildäne immerhin Vorteile beim Bezug von Eintrittskarten. Sein „Proceß“ beginnt mit einer Anklage wegen Volksverhetzung. Für den 76-jährigen unerklärlich, war er doch immer ein braver, unbescholtener und gesetzestreuer Bürger. Er hat sich den neuen Verhältnissen außerordentlich schnell angepasst und engagiert sich sogar in einer gutmenschlichen Nichtregierungsorganisation.
Seine Privilegien gebieten es ihm, sich jedes Jahr die Wohngenehmigung verlängern zu lassen. Sein „Fehltritt“: Statt des neuen persischen Namens „Düskale“ (zu Deutsch bezeichnenderweise: Eingeebnete Burg) füllt er das Formular mit der ursprünglichen Bezeichnung des Ortes aus: Duisburg. Während er sich durch Ruhrkents Bürokratie schlägt, reflektiert er über seine Lebensgeschichte und trifft in Form des Staatsanwalts auf einen germanophilen Einwanderer vergleichbar mit Akif Pirincci (allerdings mit Anstand…). Nach und nach begreift er die Lage.
Bekanntschaft mit dem Volksverhetzungsparagraphen werden wohl noch nicht allzu viele Bewohner des heutigen Ruhrgebiets gemacht haben. Dennoch kommt einem Vieles im Roman seltsam bekannt vor. „Ruhrkent“ ist ein Heimatroman der besonderen Art, denn das, was heute im Ruhrgebiet (und nicht nur dort – Duisburg ist überall!) Realität ist, ist nichts anderes als eine Vorstufe – Ruhrkent-light, könnte man sagen. Auf dem Weg zu Schule, Universität oder Arbeitsplatz erlebt ein jeder von uns „Pottkindern“ die dargestellten Szenen mindestens in abgespeckter Version. Folgendes Zitat, das auch den Buchrücken ziert, drückt diese Stimmung mehr als gut aus:
„Irgendwann, von niemandem ganz ernst genommen,
weil es anfangs viel zu klein und zierlich war,
und man es deshalb gern mit Großmut übersah,
muss sich ein Unrecht in das Recht hineingeschlichen haben,
dachte ich,
das schließlich das gesamte Recht ins Gegenteil verkehrte,
das sich durch das Recht hindurchfraß,
wie ein schimmeliger Pilz im Lauf der Zeit die Milch versauern lässt,
von oben bis zum Grund,
obwohl sie weiterhin ganz weiß und rein und unverdorben wirkt,
als könnte man sie sorglos trinken,
und als man erst bemerkt,
das sie schon längst nicht mehr genießbar ist,
sobald man selber, weil sie angefangen hat zu riechen,
mit der Zunge an ihr schmeckt.“
Und jedem, der diesen Roman liest, drängt sich unweigerlich die Frage auf: Ist das Ruhrgebiet – nicht zuletzt auch meine Heimat – noch zu retten oder befinden wir uns längst auf unwiederbringlich verlorenem Territorium und steuern mit Volldampf auf Ruhrkent zu?
Nach Abschluss der Lektüre ist man als Identitärer wohl zunächst einmal niedergeschlagen und vielleicht auch ein Stück weit defätistisch. Zumal die Handlung für Kenner von Kafka, Orwell und Schreckensvisionen von Islamkritikern recht vorhersehbar ist.
Allerdings ist unsereins wohl auch nicht die primäre Zielgruppe, denn für den unbedarften Leser könnte dieses Werk von großer Bedeutung sein. Der Autor liefert hier nämlich keine bloße Ansammlung von Daten, Statistiken und Zeitungsmeldungen, wie man sie auf rechtspopulistischen Blogs häufig antrifft, sondern zeigt konkret den Prozess eines Gutmenschen zum Widerständler. Zudem liest sich „Ruhrkent“ enorm schnell und durch seine nahe 200 Seiten kommt man ohne weiteres an einem Wochenende, was nicht zuletzt dem großartigen Schreibstil „C. M.“’s geschuldet ist – Wolfgang Koeppens Montage-Technik lässt Grüße ausrichten. An dieser Stelle wüsste man dann doch ganz gern den wahren Namen des Autors.