Startseite » Reflexion » Umberto Eco und Wir – Beitrag zur Relativismusdebatte I

Umberto Eco und Wir – Beitrag zur Relativismusdebatte I

Sicher ist den meisten der Roman ‚Im Namen der Rose’ von Umberto Eco bekannt, vielleicht nicht zuletzt durch die gelungene Verfilmung mit Sean Connery aus dem Jahr 1980. Der Schluss läge daher nahe, im Folgenden eine Buchbesprechung zu erwarten, doch ich möchte in diesem Artikel in eine ganz andere Richtung; zur identitären Weltsicht und der Relativismuskritik. Es mag verwunderlich klingen, aber der italienische Universitätsprofessor und Autor Umberto Eco führt uns direkt zur Relativismusdebatte – und zu der Frage, ob wir die unserer Weltsicht zugrunde liegende, ‘dualistische’ Auffassung von Universalismus und Relativismus überdenken müssen.

Am meisten verwundert war vermutlich ich, als ich im Zuge einer Buchrezension, auf einen ausführlichen Kommentar Umberto Ecos zur Relativismusdebatte stieß; der Semiotiker zählt für mich zu den größten Geisteswissenschaftlern und Intellektuellen unseres Jahrhunderts – doch gerade von ihm, der sich sonst heikler politischer Debatten eher entzog, hätte ich mir einen derart wertenden Abriss am geringsten erwartet. Bei dem Buch handelt es sich um das kürzlich bei Hanser erschienene Die Fabrikation des Feindes und andere Gelegenheitsschriften; einem Sammelband heterogener Texte zu verschiedensten Themen. Obwohl es sich dabei also um von einander unabhängige Texte handelt, fehlt ihnen der rote Faden nicht ganz. Und so handelt der zweite Text vom Absoluten und Relativen. Der Titel „absolut und relativ“ beeindruckte mich vorerst nicht, doch wurde ich hellhörig, als Eco an die philosophische Problematik des Absoluten die des Relativismus, und damit der Relativismuskritik, anschloss.

Ich hüte mich davor terminologisch gleich ins Blaue zu springen und möchte daher zuvor einige Erklärungen zum Relativismus anbringen:

Die Identitäre Weltsicht

Als wir vor einigen Jahren damit begannen uns mit Denkern der Nouvelle Droite (Neue Rechte) auseinander zu setzen und sie kritisch zu hinterfragen, war die uns dabei leitende Frage, wie eine lebensbejahende, möglichst ganzheitliche Philosophie aussehen müsse, die ethnopluralistisch und entgegen den postmodernen Zivilisationskrankheiten konzipiert wäre. Das philosophisch größte Problem bei der Ausarbeitung der identitären Weltsicht (folglich nur mehr mit IWS abgekürzt) war der historisch gewachsene Umstand, dass ein Volk, oder ein ethno-kulturelles Kollektiv, zu seiner Erhaltung und Förderung absolut gesetzte, unhinterfragbare Werte benötigt, denen eine gemeinschaftssetzende und –bindende, sowie sinnstiftende Wirkung inhärent ist. Das hieße aber das Setzen von absoluten, gewissermaßen allgemeingültigen Werten, die einen universalistischen Charakter tragen. Doch von eben dieser Prämisse gehen die imperialistischen, Identitäten zerstörenden, Eine-Menschheit-Ideen aus; durch die Relativierung organisch gewachsener Werte und Vorstellungen einzelner Gemeinschaften werden diese zerstört und gegen scheinbar universale, „allgemein menschliche“ oder „humanitäre“ Werte ersetzt, von denen propagiert wird, sie seien für alle Menschen gleich gültig. In logischer Konsequenz ergibt sich argumentativ der egalitaristische Gleichheitsgedanke á la „alle Menschen sind gleich“ oder „es gibt nur eine Menschheit“; quasi der letzte Mensch (Menschheitsgedanke).

Vom Universalismus zum Relativismus und ein Stückchen zurück…

Wie war diese philosophische Inkohärenz zu überbrücken? Durch seinen Gegenspieler: den Relativismus. Eine Gemeinschaft benötigt immer unhinterfragbare Werte und Erzählungen, wie z.B. Mythen, die den Menschen Halt und Sinn geben und nicht zuletzt durch ihre Sinnstiftung den Menschen die Angst vor dem existentiellen Nichts nehmen (dazu zählen natürlich auch Traditionen, die diese performativ-rituell verleib-lichen und damit nach außen sichtbar und erleb-bar machen). Diese müssen natürlich Kraft ihrer Glaubwürdigkeit absolut gesetzt werden; also universell sein. Hier gelangt man aber zum Universalismus. Spricht man aber den gemeinschaftskonstituierenden Werten, gewissermaßen auf einer ‘meta-ethischen’ Ebene, ihre Universalität ab, d.h. ihre Allgemeingültigkeit, ihre globale Gültigkeit, so verlieren sie nicht ihren immanenten gemeinschafts- und sinnstiftenden Charakter, vermeiden aber universalistisch oder globalistisch zu sein. Ihre Legitimität erhalten sie durch die ethnokulturelle Perspektivität der sie tragenden Mitglieder der Gemeinschaft. Und diese wiederum benötigen jene, aus sprachlicher und historischer Kontinuität gewachsenen Vorstellungen, um ihre Gemeinschaft zu erhalten und die Erzählung (die durch die von diesen Werten abgeleiteten Codices ihre Bahnen erhaltet) weiterzuführen.

Dabei ist klar, dass diese im Leben begründet, also am Dasein orientiert sein müssen. Wie alles Lebendige vergänglich und veränderlich – im „Fluss der Zeit gefangen“ – ist, so sind auch die gemeinschaftskonstituierenden Werte vergänglich und nicht immer-während. Und wenn sie nur für eine ganz bestimmte Gemeinschaft ihre begrenzte Gültigkeit besitzen, so sind sie auch räumlich konstituiert. Werte und Vorstellungen einer Gemeinschaft sind also räumlich und zeitlich begrenzt. Doch stellt das ihre Legitimität in Frage? Für die direkt betroffene Gemeinschaft nicht, denn im Augenblick ihrer Gültigkeit und ihres Gelebt-Werdens sind sie für die betroffenen Menschen absolut und sinnhaft. Damit verliert die Relativität der Werte und Vorstellungen einer Gemeinschaft ihren zerstörerischen Charakter. Das ist eine Frage, ob es sich bei Wahrheiten um Tatsachen oder Interpretationen handelt. Gesetzte oder konstruierte Tatsachen müssen nicht gleich Interpretationen sein; nicht, wenn sie von der sie tragenden Gemeinschaft als Tatsachen akzeptiert worden sind. Und überhaupt: Wo macht es lebensweltlich einen Sinn, darin einen ontologischen Unterschied zu sehen? Wir kommen später noch darauf zu sprechen.

…zum Kulturrelativismus

Wir haben in dieser Überlegung über die Gültigkeit von Werten zugunsten eines pluralistischeren, vielheitlicheren Ansatzes, einiges an Relativismus in Kauf nehmen müssen. Um eine Wertsetzung für eine Gemeinschaft nicht universalistisch zu beschreiben, haben wir uns des sogenannten Kulturrelativismus bedient. In der Geschichte haben Intellektuelle von rechts bis links den kulturellen Relativismus vertreten, der zusammengefasst besagt, dass bestimmte, von einer Kultur hervorgebrachten, ethische Begriffe oder lebensweltliche Vorstellungen (man spricht hier auch von „sozialen Kategorien) nicht universell auf alle Menschen zugleich angewendet werden können, sondern immer nur von der Kultur, die sie hervorgebracht hat, verstanden und praktiziert werden. Der Kulturrelativismus geht von einem Pluralismus der Kulturen aus, d.h. einzelne Kulturen können nicht gegeneinander abgewogen und bewertet werden – schon alleine, weil dies im aus der Sicht der eigenen Kultur geschieht. Trotzdem der Kulturrelativismus richtige Ansätze hat, kann er nur als ein Aspekt, als Teil der IWS gesehen werden – er führt nämlich Identitäten nur auf die Kultur zurück, ohne die damit einhergehenden, mitwirkenden Faktoren zu sehen.

Auch andere relativistische Ansichten sind durchaus im Sinne eines toleranten, aber nicht egalitären, Ethno-Pluralismus, wie z.B. der Sprachrelativismus (in der Sprachwissenschaft spricht man von der „Sappir-Whorf-Hypothese“). Ist der Relativismus also per se zu verurteilen? Nach unseren Ausführungen scheint dies nicht der Fall zu sein – doch müssen wir präzisieren; sind relativistische Positionen per se schlecht? Nein. Generalisiert man jedoch den Relativismus, also würde man z.B. aus ihm eine Weltanschauung oder eine Ideologie ableiten, die in sich zwangsläufig universalistisch sei, so wäre das natürlich abzulehnen. Was ist darunter zu verstehen?

Der post-moderne Relativismus

Generalisieren wir den Relativismus, enden wir im Egalitarismus (dies gilt natürlich auch umgekehrt): Der Relativismus besagt, dass die Wahrheit jeder Aussage durch eine andere begründet ist und bekämpft deshalb absolute Wahrheitsansprüche. Im schlimmsten Fall bekämpft er aber jeden Wahrheitsanspruch. Diese semantische Kette führt letzten Endes immer zu einem Postulat: einer willkürlichen, subjektiven Annahme. Da jede Aussage darauf reduziert wird, dass sie grundsätzlich subjektiv und damit belanglos ist, führt es letzten Endes zum Gleichheitsgedanken. Jede Meinung und jede Stimme ist gleich viel wert – also nichts wert. Werden alle Phänomene des Lebens relativiert, so werden alle Aspekte unseres Daseins in Frage gezogen – und somit zerstört. Das widerspricht aber unserer ontisch-bewussten Realitätsauffassung.

Die IWS definiert sich daher in einem ontisch-realistischen und nachvollziehbaren Mittel zwischen Universalismus und Relativismus. Gesetzt natürlich der Annahme, dass beide Pole radikal aufgefasst werden, quasi als Weltanschauung. Genauso wenig, wie wir also eine Ansicht verabsolutieren oder dogmatisieren, so wenig vertreten wir generalisierende Ansichten, wie die des radikalen Universalismus und die des argumentativen Relativismus. Die IWS nimmt diese Position deshalb ein, um in einer grundlegenden philosophischen Sichtweise kohärent zu sein und beide Pole ‘an sich’ der Wirklichkeit widersprechen. Dass unsere Universalismuskritik und unser, aus der Relativismuskritik ableitender, Antiliberalismus oft falsch gedeutet worden sind, wurde schon oft an anderer Stelle besprochen und soll hier nicht weiter ausgeführt werden.

Im zweiten Teil gehen wir mithilfe Umberto Ecos dazu über, ob und warum wir unsere Ansicht über den Relativismus überdenken sollten.

Identitäre Weltsicht Im Namen der Rose IWS Relativismus Umberto Eco

Über Raul Jaubein

Raul Jaubein
Raul Jaubein studiert Literatur und komparatistische Philosophie in Wien und erforscht die Phänomene der Post-Post-Moderne. Raul ist Mitglied IB-Wien.

Hinterlasse eine Antwort