Wie fast alle „Gewächse“ der westlich-urbanen Biosphären habe ich im Laufe meines Lebens eine gewisse Allergie gegen die Stille entwickelt. Die permanente Zerstreuung, das Vor-sich-her-Dribbeln der eigenen Existenz, wie eine leere Cola-Dose – das brauchtund fordert den permanenten Beat. Unser Leben ist endlos langweilig geworden. Wäre es ein Film, würden wir wegzappen.
„Wenn das Skript zum Biopic schon versagt, kann zumindest der Soundtrack gut sein.“ So denken wohl alle Angehörigen unserer „Generation Y“. Rund um die Uhr sind wir „hooked“ an unsere Smartphones, verkabelt und schalldicht abgekapselt, um uns störungsfrei unsere Playlists um die Ohren zu blasen.
Ich selbst bin aus einer romantischen Regung vor einiger Zeit dazu übergegangen, diese nach Jahreszeiten zu kategorisieren. Meist höre ich (neben konstanten Liebligsbands) im Lauf eines Monats einige Lieder so oft und intensiv, bis mir die Ohren bluten. Sie schnitzen sich in meine Erinnerung ein und prägen als Grundstimmung diesen Lebensabschnitt intensiver als alles andere. Statt in Jahreszahlen denke ich in „Musik-Phasen“ zurück. Diese „Phasen“ haben sich mit der Zeit zu einer fixen Idee entwickelt. Wenn mich kein Ohrwurm heimsucht, gehe ich gezielt auf die Suche nach einem Objekt monatelanger musikalischer Begeisterung. Ich suche mir meinen Song der Saison. So auch vor ca. einer Woche, als ich meinen leeren Ordner „herbst 2015“ mit piratierter Musik füllen wollte. Dabei stieß ich vor einer Woche erstmals (!) auf die Band Wanda.
Mit diesem Satz ist eigentlich alles über meine musikalischen Kenntnisse gesagt. In mir vereint sich ein plebejischer Geschmack mit völligem Desinteresse für kontemporäre Entwicklungen am Musikmarkt. Ich bewundere alle Leute, die stundenlange experimentelle Soundcollagen hören können. Manchmal frage ich mich, ob sich meine Playlisten nur aus politischem Prestige im Bereich kulturpessimistischen Nonkommerz bewegen, und ob ich sonst kein reiner Mainstream-Hörer wäre. Der echte Genuß von klassischer Musik, der über „Best of Mozart“-Playlists auf YT hinausgeht, ist mir daher ebenso fern (das hebe ich mir für die Pension auf) wie das hipstermäßige Bescheidwissen über den letzten Schrei aus der jüngsten Szene (ich hasse FM4 und das Museumsquartier).
Weiters kommt dazu, dass mir und einigen anderen das Dreigespann aus Arbeit, Uni und Aktivismus keine Zeit für ein nennenswertes Party-Leben lässt. Meist sind wir nach der x-ten Besprechung, Aktion oder Versammlung einfach zu fertig, um noch fortzugehen. Wochenende ist sowieso meist Aktivismuszeit und zuhause warten stets tonnenweise E-Mails, Buchhaltung, sowie Flyer und Homepages auf ihre Fertigstellung. Danach sinken wir betäubt in einen traumlosen Schlaf…
Und selbst wenn wir mehr Zeit hätten – als Neurechtsintellektueller hat man in der Großstadt seine Not und steht szenemäßig zwischen allen Fronten. Für das Hütten-Schlager-Charts-Partypublikum sind wir zu „studentisch“, für die „studentischen“ Elektro und Indiezonen zu „rechts“. So bleibt meist nur der traurige Schluck Tütenwein auf der Trap.
Marco Michaels Geheimratsecken
Aber weg von unserem tränenreichen Los, hin zur Band Wanda. Aus dem Erzählten erschließt sich, warum ich diese neueste Pop-Sensation aus Wien, von der jeder spricht und die jeder liebt, erst so spät entdeckt habe. Es war genauer gesagt eine „Sexismusdebatte“ um ihr neues Musikvideo „Bussi Baby“, das mein Interesse und bald darauf meine Sympathie für die Burschen und ihre Combo weckte. Ein paar Videos weitergeklickt kam ich auf den Geschmack, nach 15 Minuten Wanda hatte ich mich bereits in eine Darstellerin aus den Musikvideos verliebt und pfiff die Refrains mit. Genau mein Ding. Genau mein Geschmack. Endgültig um mich geschehen war es, als ich mein derzeitiges Lieblingslied: „Meine beiden Schwestern“ hörte. Das geniale Sprachbild,
„hin und wieder stehn wir uns nah –
genauso wie die Flaschen von gestern“
ist so grandios, dass man den Jungs am liebsten sofort ein Bier dafür ausgeben würde. Fast quälte mich ein schlechtes Gewissen, als die Lieder direkt von Youtube in meinen Herbst2015-Ordner wanderten. (Ich gehe sicher irgendwann mal auf ein Konzert um meine Dankbarkeit zu zeigen.)
Was gefällt mir so an Wanda? Ich will und kann jetzt nicht mit dem Fachjargon des Musikkritikers aufwarten. Zuallererst liebe ich den Wiener Dialekt in seiner ganzen getragenen Schwere, flüchtigen Frechheit und vernuschelten Philosophie. Marco Michael Wanda, der Sänger und die Seele von Wanda, zelebriert ihn, ohne dabei ins typische Austropop-Raunzen zu verfallen (das ich eigentlich nur schwer betrunken feiern kann). Das Ganze ist ein rundes und konsumierbares Produkt. Durch die durchgestlyten Videos zieht sich ein roter Faden, die Persona der Musiker passt, es ist kulturell vermarktbar. Wien, Caféhaus, Schmäh, Alkohol, Rock’n’Roll, Zuhälter-Charme, Todessehnsucht. Der gschupfte Ferdl lässt grüßen. Die Musik ist einfach und eingängig. „Kinderlieder“, wie der Frontmann charmant zugibt. Auch die Texte sind einfach, aber einfach genial. Alles ist aber, im Unterschied zu Bands wie z.B. Kraftklub, intelligent, souverän und ironisch genug, dass auch die Arroganz und Selbstgefälligkeit von Wanda dazu passt. Hier passt einfach alles. Kein Wunder, dass bei so einer geballten Ladung Ösi-Schmäh die Herren jenseits des Weißwurst-Äquators scharenweise kapitulieren (während ihm die Damen scharenweise verfallen).
Ein gewisser Lokalpatriotismus macht es mir auch besonders leicht, Wanda-Fan zu werden. Der Hauptgrund, warum ich diese Band aber nicht höre, sondern gezielt und kompromisslos zum Soundtrack meines Herbstes machen werde, sind die Geheimratsecken von Marco Michael Wanda…
Wie bereits gesagt, verstehe ich von Musik wenig. Wer eine soundtechnische Analyse von Vorläufen, Quereinflüssen, Rhythmus und Akkordstrukturen sucht, ist hier fehl am Platz. Mich interessiert bei einer Band vor allem das, was sie verkörpert, ihr Stil und ihr Charakter (Als Neofolk-, Black Metal– und Cloudrap-Hörer ist das oft sogar notwendige Grundvoraussetzung). Es ist etwas im Wesen und Antlitz des Leadsängers, das das ganze Projekt durchwebt und mich in seinen Bann zieht. Dem will und muss ich immer auf den Grund gehen.
Rasch führt mich das musikalische „Gefallen“, das ich auch gar nicht weiter reflektieren und zergliedern will, zur geistigen Auseinandersetzung. Interviews, Artikel, Rezensionen werden verschlungen (an dieser Stelle ein Hoch auf den zweiten Prüfungstermin), bis ich mir aus Information und Projektion ein Bild gemacht habe.
Ein trauriger europäischer Geist
Das Geile an Wanda ist, dass sie so unglaublich viel Raum für die Projektion, für die Interpretation bis zum Missverstehen lassen. Bei aller „Konsumierbarkeit“ (die ich wie gesagt selbst bevorzuge) hat die Band immer noch eine scharfe Kante und einen leichten Schuss. Sie sind „gschupft“, wie man in Wien so sagt. Die Interviews mit Michael Marco schaue ich deshalb fast so gern wie die Musikvideos. Was sehen wir hier? Eine schlanke Figur mit Glutaugen, Geheimratsecken, Rockerattitüde und beginnender Glatze. Ein alterloses, abgründiges Gesicht, an dem die Tage spurlos vorübergegangen sind (das aber von schwarzen Nächten gezeichnet wurde). Vergeistigt und satyrhaft, asketisch und dionysisch zugleich. Seltsam, verzeifelt, überlegen. (Mittlerweile erinnert mich sein Gesicht und sein Habitus ein wenig an Matthias Strolz, nur halt in cool gutaussehend, cool und erfolgreich.)
Irgendwie bilde ich mir ein, in diesem Typen ein Fieber, einen Hauch von Wahnsinn und einen Funken Chaos zu erkennen, der mir bei den meisten anderen modernen Musikern abgeht. Und Chaos braucht es, wie ein weiterer dionysischer Asket wusste, „um einen tanzenden Stern zu gebären“. Er vielleicht Stunden der Verzweiflung und Leere hinter sich. Dieses Gesicht hat wahrscheinlich das Tal der Tränen, wie die Berge des Wahnsins gesehen. Wanda hat Marco vielleicht das Leben gerettet. Will er mit Wanda Leben retten?
Der Sänger scheint mit der Idee zu kokettieren. Er weiß auch um seine schauspielerischen Stärken und erprobt die Rolle des Priesters. „Priesterlich“ ist ein Vokabel, das bei ihm oft fällt. Der Gesellschaft fehle ein „Mythos“ und ein Zugang zum „Unterbewussten“. Ein gewisses Sendungsbewusstsein liegt in seiner Sprache.
Keine Ahnung, was er so gelesen hat. Er hat, wie ich, unter anderem an der Uni Wien Philosophie studiert. Wir sind quasi entfernte „Institutionskollegen“. In der alten Flak-Zentrale, die heute in neuer Hässlichkeit das „Neue Institutsgebäude“ beherbergt, hat er sich vielleicht ein Semester mit Nietzsche, Freud oder gar Reich beschäftigt (Ich unterstelle, eher weniger Adorno und Habermas.) Oder auch nicht. In ihm lebt meiner Ansicht nach ein Geltungsdrang, ein Wille zum Werk, ein Hunger nach dem Erlebnis, der eigentlich nur in Wahnsinn oder Drogen, in der Philosophie oder in einer Band enden kann. Gott sei Dank hielt es Marco Michael Wanda nicht lange am Philosophicum. Er fasst seine Gedanken in Lieder und jagt sie als Gassenhauer durch die Straßen. Er will eine „Lücke füllen“. Gleichzeitig stemmt sich ein gewisses totalitäres Kunstwollen gegen das Existieren in einer Austropop-Kulturnische. Am Ende wischt er – schelmisch-schamanisch – alle theoretischen Überlegungen, das Raunen von „Mythos“ und „Priestertum“ mit wienerischer „Wuaschtigkeit“ beiseite. Kurzum: Der Typ ist mir einfach sympathisch.
Wanda verkörpert sicherlich auch das (post-)moderne Gefühl der Beliebigkeit, Heimatlosigkeit und den Hedonismus. Alles andere wäre auch unauthentisch. Sicher schwimmen sie ebenfalls im Mainstream der linken Kulturschickeria mit. Wer könnte es ihnen verübeln? Gerade ihre Apolitik und ihr fast „männerbündisches“ Gehabe wirken hier aber oft bereits wie eine passiv-aggressive Revolte. (Damit treten sie übrigens in die apolitischen Fußspuren von Falco.) Fast ein Affront ist es, dass Marco Michael Wanda in Zeiten des vorauseilenden Bekenntniszwangs, kurz vor der entscheidenden Wien-Wahl, auf die (vermutlich bohrenden) Frage einer Journlisten nach „statements“ zu FPÖ, „refugees“ etc. Folgendes erwidert: „Mein politischer Kompass ist nicht gut genug eingestellt, ich traue mich über solche Themen nicht drüber, weil ich einen ohnehin schon diffusen Konflikt nicht unnötig in die popkulturelle Ebene einführen will. Ich bin kein guter politischer Denker. Ich kann die Leute nirgendwo hinführen, (….).“
Kein Wunder dass ihnen die „angry feminists“ quasi „musikalisches Manspreading“ vorwerfen und ihr Bekenntnis zum „Feminismus“ nicht gelten lassen (Deutungshoheit!). Das Ding ist: Wanda würde wahrscheinlich einfach nicht funktionieren, wenn mit ihnen auf der Bühne auch ein Frau stünde. Das Spüren alle und es stört manche Tugendwächter*_Innen. Der Verdacht ist begründet, dass man in der Band mit der Zeit spüren wird, dass die Ideen der modernen Linken zum Ersten sterbenslangweilig sind, und zweitens ihre krampfhafte sprachpolizeiliche Peinlichkeit, mit der Wiener Wurschtigkeit völlig inkompatibel ist.
Aber das ist nur so in den Wind gesagt. Mir ist die politische Einstellung von Wanda herzlich wurscht. Das trifft auch auf andere, offen „linke“ Bands zu. Mir ist auch egal ob sie es mögen, das ich sie mag. Anders als linke Ideologen gibt es für uns auch ein jenseits des Politischen, einen Eigenbereich des Geschmacks und der Ästhetik, indem Gesinnungsschnüffelei nichts zu suchen hat. Aber zurück zum Wesentlichen: meine private Hör- und Lesart der Band.
Ich schau sie gern von Rechts an
Immer mischt sich für mich in die Feierlaune der wandaschen Stimmungsmusik auch eine morbide Ironie, eine namenlose Nostalgie, eine „Sehnsucht wie nach Sünde“, wenn Marco von „Amore“ singt. Wien und Rom, die ewige Stadt und Bologna als Platzhalter für eine uneingelöste Sehnsucht, die im Konkreten, Fleischlichen verortet ist. Und endlich: Amore, die Liebe. A-mor, der große Mythos der Todestranszendenz. In Wanda besiegt „amore“ nicht den Tod. Wanda besingt nur beides. Sie liefern keinen Mythos, kein Ideal, keine politische Botschaft. Ihre Musik ist bei Gott nicht patriotisch, aber auch nicht wirklich „kosmopolitisch“. Wenn man Musik so einteilen kann, wären für mich Kalkbrenner und Co der ultimative „kosmopolitische“ Sound. Wanda ist dagegen ein Wirbelwind aus identitären Hommagen, kulturellen Fetzen und Anspielungen, die bei mir Assoziationsketten auslösen. Der „Lyrischer unbewusste Schmafu“ (Marco Michael Wanda) passt mir super in den identitären Kram. Das erste unfreiwillie Testpublikum wurde auf aktivistischen Autofahrten schon angefixt und hat nach wenigen Wiederholungen mitgesungen: Wanda dürfte sich einen Fixplatz in vielen identitären Playlists erobern. In meiner bleiben sie zumindest bis zum ersten Schnee.
Ich projiziere in das Gesamtkonzept der Band, von ihrem feierlichen Eskapismus bishin zu Marco Michael Wandas schelmisch-traurigen Augen, meinen eigenen Kulturpessimismus und bin im Moment begeistert, wie gut das für mich funktioniert.
Beim ersten Hören von Bologna wusst ich beispielsweise noch nichts von „Tante Cecarrelis“ pikanter Liebe und dachte, es ging um „Dante“. Das bleibt hängen. Bei „Meine beiden Schwestern“ denke ich an Trakl, und insgesamt erinnert mich Wanda ebenso an Weinhebers „Wien Wörtlich“, wie an Qualtinger und Karl Kraus‘ „Letzte Tage der Menschheit“. Wien war immer schon geistiges Wettereck und verortete Diaspora. Wanda sind in ihrer ganzen mythischen Belanglosigkeit und ihrer kränkelden Kraftmeierei echte Wiener. Und dafür liebe ich sie.
Wenn Europa untergehen sollte, dann passiert das, ihnen sei Dank, hier in Wien wenigstens zu einem feinen Soundtrack – und wenn’s geht bitte zwei-drei Jahr‘ später.