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Wendestimmung

Wendestimmung?

Stehen wir in Deutschland vor einer Wende? – Alles deutet darauf hin. Nicht allein das, was die Gemüter akut in Aufruhr versetzt, die massive Zuwanderung, sondern – grundsätzlicher noch und davon ausgelöst – das plötzliche Bewußtsein, daß dieses Land ideell von der Phrase, der Seibertschen Verlautbarungsrhetorik, also insgesamt einer politsprecherischen Worthülserei beherrscht wird.

Die Ideologie dieser Verphrasung spiegelt das behäbig selbstgefällige Selbstverständnis der sogenannten „Mitte“, also jenes oral fixierten hedonistischen Mittelstandes, der sich, längst verbürgerlicht, „eher links“ wähnt und zum Staatsverweser einer vermeintlichen Humanität erhebt, die sich rechthaberisch in die Brust wirft, weil sie vorgibt, die einzig richtigen Lehren aus der deutschen Vergangenheit gezogen zu haben. Die wichtigste davon: Fort mit allem Deutschen, allem Nationalen, weil das historisch so kontaminiert wäre, daß nicht nur keine Konversion möglich erscheint, sondern jeder Rückgriff aufs nationale Erbe „nationalistisch“ die Gefahr des Rückfalls in den Nationalsozialismus heraufbeschwöre, der mehr denn je offenbar zum Maß aller Dinge avanciert, obwohl er doch andererseits als längst überwunden gilt.

Weil diese Grundvereinbarung – Alles Nationale ist reaktionär und gefährlich! – die gesamten Gesellschaft, vorzugsweise aber die „Bildung“ in zwangsneurotische Zwänge einspinnt und freies, befreiendes Urteilen und Verändern behindert, sind wir alle in einer Lähmung befangen, die jetzt offensichtlich wird – offenbar gar Politikern, die sich in der von ihnen verordneten Regelpoetik bewußter selbst reden hören. Die Diskrepanz zwischen der Sprache und dem, was der Fall ist, wird um so mehr offenbar, weil die Demokratie zwar beständig beschworen wird und rechtlich wohl noch existiert, aber nicht mehr lebendig ist. Als produktive Streitkultur könnte sie, ja müßte sie den intellektuellen Stoffwechsel der Gesellschaft erhalten und gegebenenfalls entgiften; und tatsächlich gibt es ja endlich mal Streit, aber eben keine Streitkultur, weil sich die Gegenrede, manifestiert etwa in der AfD-Position Björn Höckes, sogleich als „widerlich“ (Heiko Maas) stigmatisiert oder pathologisiert findet.

Die „Demokratie“ definiert sich nur mehr selbst durch selbsterklärte Demokraten, die zum Diskurs auch nur sich selbst zulassen mögen, sich von anderen Stimmen gestört fühlen und diese – in der Sprache der Psychologie – abspalten wollen. Der gesamte konservative und vor allem national-konservative Teil des politischen Spektrums wird in seiner Intention und Rede wütend verunglimpft, voller Wut darüber, daß solche „ewiggestrigen“ Positionen in Jahrzehnten nicht wegzuerziehen waren, sondern sich nach wie vor auf das berufen, was über Jahrhunderte kultureller Ursprung des Denkens und Handelns, mithin auch der Demokratie selbst war, war, die Nation nämlich, die den Neu-Demokraten jedoch als Hort des Bösen zu gelten scheint, als gefährliche Nazi-DNS. Wird innerhalb einer Diskussion gar spürbar, daß die Rechte sachlich und moralisch stärkere Argumente bringt oder einfach nur Tatsachen zu benennen bereit ist, reagieren die „Demokraten“ geradezu hysterisch. Bei Günther Jauch wurde dergleichen am Sonntagabend als Zuschauertheater geboten.

Wir haben, ausgelöst vom unkontrollierten Asylantenstrom, ein ernstes Problem, und wir spüren, daß es nicht zu klären ist, richten wir uns nur nach dem Sozialkundelehrbuch der politischen Mitte, deren Personifizierung Angela Merkel wurde, jene unscheinbare Frau, der vor Jahren niemand zutraute, sie könne zum Gesicht der Berliner Republik werden, und die es gerade deswegen wurde, weil sie alles mit sich machen ließ, wogegen früher Prinzipien gestanden hätten, deren Geltung gerade in der sogenannten CDU aufgehoben wurden – genau aus Gründen der Phrasen-Ideologie der Mitte, die an der Basis den totalen Konsumismus und Ökonomismus wünscht, um sich überbaulich mit einem allein seligmachenden Mantra zu trösten: Gegen Rechts!

Gegen Rechts! Dieser Slogan stellt den letzten faulen Kompromiß dar, auf den sich alle einschwören lassen sollen, vom Grundschüler bis zum Minister. Und selbstverständlich kann man „gegen rechts“ sein; nur ist es die einzige Position, die, durchweg verordnet, überhaupt noch bezogen werden soll. Was für ein Zeichen ideeller Erschöpfung, was für eine Gleichschaltung, was für ein durchneurotisiertes Bewußtsein, mal ganz abgesehen davon, daß ein solch billiges und unreflektiertes Pauschalbekenntnis Bildung eher aus- als einschließt. Für „Gegen Rechts!“ braucht der Bekenner nämlich gar nichts wissen; er soll nur ein vermeintliches Selbstverständnis nachsprechen, durchaus ähnlich zu den Argumentationen der DDR, die eben nicht argumentierten, sondern propagierten. Mit dem Preis, daß man zur Mehrheit gehörte, wenn man sich nur artig bekannte.

Die redliche Frau Merkel wurde nolens volens zur Projektionsfläche des geistigen Stillstands bzw. Selbstbetrugs der Mitte, deren Kleingeisterei eben darin bestand, sich ihre exorbitanten Konsumtionsbedürfnisse mit einem politisch gefärbten Fair-Trade-Moralismus zu legitimieren. – Und die Linke? Ist desorientiert, weil sie sich politisch durchverdaut als Teil dieser feisten Mitte wiederfindet.

Christian Wolff, Pfarrer an der Thomaskirche in Leipzig, beklagt, „nicht nur Grundregeln des Anstands, sondern auch Grundwerte des gesellschaftlichen Zusammenlebens werden einfach beiseite geschoben.“ – Revolutionen und Wendeereignisse oder auch nur polemisch formulierte Korrektive erscheinen nun mal nicht in der Gestalt kollegialer Freundlichkeit. Das kuriose Wort vom „Aufstand der Anständigen“ ist vor dem Hintergrund logisch, daß die anderen eben die „Unanständigen“ wären, und zwar per se.

Wenn überhaupt von den vielfach zitierten Weimarer Verhältnissen die Rede sein kann, dann mit Blick auf den Stil der Auseinandersetzung. Man schenkt sich dabei nichts mehr. Der politische Feind ist sogleich das politische Schwein. Hendrik Lasch im „Neuen Deutschland“ über die Pegida-Bewegung: „Die Welle schwappt weit ins Land hinaus, und es ist eine trübe, ätzenden Brühe.“ Von diesem Geschmack sind die gängigen Adjektive – gar nicht so sehr jene von der Rechten an die Adresse der linken Mitte, sondern vielmehr umgekehrt. Pegida, AfD und deren Anhängerschaft – alles braune Soße, ätzende, gefährliche Giftbrühe, die das Land verpestet.

Weshalb so bizarr? – Es dürfte mindestens unbewußt die große Unsicherheit sein, das Erschrecken über eigene Lebenslügen, deren Aufbrechen man eher erspürt, als daß man sie schon bewußt wahrhaben möchte. Wer erlebt, daß sein Weltbild ganz entscheidend aus autopoietisch zusammengesetzten selbsterfüllenden Prophezeiungen besteht, die sich mit den Tatsachen da draußen kaum noch abgleichen lassen, der reagiert aggressiv und meint damit – enttäuscht und verunsichert – vielleicht gar eher sich als den abgespaltenen Feind, den er projizierend verunglimpft.

Christian Demuth, ehemaliger Sozialbürgermeister der Stadt Dresden und dort Initiator von „Bürger.Courage e. V.“, einer der vermeintlichen Kenner der „rechten Szene“ behauptet mit Blick auf Pegida, die Dresdner hätten „kein Systemvertrauen“ aufgebaut. Nun gut, symptomatischer läßt sich das durch einen „couragierten“ Demokraten wohl nicht ausdrücken. – Vielleicht hatten die Dresdner ja Gründe. Und wir sind beinahe wieder bei Brechts berühmten Gedicht zum 17. Juni 1953, „Die Lösung“: Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt; sie möchte sich am liebsten ein anderes wählen.

Politik ist Sprache. Politisch zu werden, das bedeutet, seine Sprache zu finden oder wiederzufinden, und es zu lernen, sich auszudrücken, um sich zu positionieren und auseinanderzusetzen.

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Über Heino Bosselmann

Heino Bosselmann
Jahrgang 1964, aufgewachsen in der Prignitz, Abitur 1982 in Perleberg, 1982-1985 Wehrdienst, 1985-1990 Studium an der Universität Leipzig, danach Lehrer, freier Autor, Publizist, literarische und journalistische Veröffentlichungen. Heino Bosselmann lebt in Vorpommern.

2 Kommentare

  1. Ein hervorragender Beitrag. Gibt es nichts hinzuzufügen !

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